Schon sehr lange ist die Bürgerbeteiligung zu einem wichtigen Bestandteil der Stadtplanung und Stadtentwicklung geworden. Erfahrungen, Sichtweisen und Interessen der Menschen vor Ort können so sehr gezielt in die planerischen Abwägungsprozesse einfließen.
Dabei sind neben den Perspektiven von betroffenen, grundsätzlich interessierten oder engagierten Bürger:innen auch die Sichtweisen von Menschen hilfreich, die sich zunächst nicht für die jeweiligen Fragestellungen interessieren. Schließlich geht es darum, bei der Bürgerbeteiligung ein breites Spektrum von Interessen und Sichtweisen aus der Stadtbevölkerung abzubilden. Dabei ist die Beteiligung von zufällig ausgewählten Bürger:innen und hier insbesondere das Instrument der Bürgerräte, in den letzten Jahren immer stärker in den Vordergrund gerückt.
Wenig Bürgerbeteiligung gibt es allerdings bisher dann, wenn mithilfe von Wettbewerbsverfahren nach neuen Lösungen für städtebauliche Herausforderungen gesucht wird. Dabei spielen Wettbewerbsverfahren eine sehr wichtige Rolle in der Stadtplanung.
- Auf Basis einer ausführlichen, schriftlichen Aufgabenbeschreibung (Auslobung) werden zeitgleich Entwurfsleistungen durch unterschiedliche Planungsbüros anonym eingereicht.
- In einer Vorprüfung werden die Entwürfe von neutraler Stelle hinsichtlich der technischen und inhaltlichen Erfüllung der Vorgaben aus der Auslobung geprüft.
- Auf dieser Grundlage entscheidet dann ein Preisgericht anhand vorher festgelegter Kriterien, welcher Entwurf den Zuschlag erhalten soll. Dabei setzt sich das Preisgericht aus Fachpreisrichtenden (Experten aus dem jeweiligen Fachgebiet) und „Sachpreisrichtenden“ (z.B. Vorhabenträger und lokale Stakeholder) zusammen. Die Fach- und Sachpreisrichtenden wissen nicht, von wem die Wettbewerbsbeiträge stammen und dürfen diese auch nicht vor der Sitzung des Preisgerichts sehen
Bei der hohen Fachlichkeit und strikten Anonymität von städtebaulichen Wettbewerben stellt sich hier also die Frage, wie hier trotzdem Raum für Bürgerbeteiligung entstehen kann. Antworten darauf hat die Stadt Heidelberg bereits in den ersten Jahren nach dem Beschluss der Leitlinien für eine mitgestaltende Bürgerbeteiligung im Jahr 2012 gefunden.
In den Heidelberger Leitlinien wurde festgehalten, dass die Bürgerschaft „bei der Durchführung von Architekturwettbewerben und städtebaulichen Wettbewerben angemessen in das Verfahren eingebunden“ werden soll.
Umgesetzt wurde die unter anderem durch
- Beteiligung von Bürger:innen bei der Formulierung der Wettbewerbsaufgabe (Auslobung)
- ihre Einbindung als (nicht stimmberechtigte) sachverständige Berater:innen beim Preisgericht selbst
- oder auch durch öffentliche Veranstaltungen am Vorabend der Sitzung des Preisgerichts, mit der Möglichkeit, die anonymen Entwürfe zu kommentieren und der Weitergabe dieser Kommentare und Hinweise an das Preisgericht.
Die letzte Form erfordert ein sehr sorgsames Vorgehen, um die Anonymität der Arbeiten sicherzustellen und eine mögliche Einsicht des Preisgerichts vor der Sitzung auszuschließen.
Bremen: erster Bürger:innenrat im Rahmen eines städtebaulichen Wettbewerbs
Mit dem ersten Bürger:inenrat im Rahmen eines städtebaulichen Wettbewerbs ist Bremen noch einen Schritt weiter gegangen. Als Intermediär, dessen Aufgabe es ist, die Transformation der Innenstadt aktiv zu begleiten, wurde dort bereits im Jahr 2022 die Projektbüro Innenstadt Bremen GmbH etabliert, die im Auftrag der Stadt Bremen um die Entwicklung „zwischen Wall und Weser“ vorantreibt. Dabei soll die nachhaltige und resiliente Transformation der Innenstadt unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Gesichtspunkten auf Basis der Strategie Bremen Centrum 2030+ erfolgen. Dabei steuert das Projektbüro Innenstadt auch einige Maßnahmen, die mithilfe des Bundesprogramms „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ (ZIZ) umgesetzt werden. Eines dieser Projekte ist die Erprobung losbasierter Beteiligung in Bremen. Das Projektbüro beauftragte ifok GmbH mit der Konzeption und Durchführung eines Bürger:innenrats mit Fokus auf dem öffentlichen Raum in der Innenstadt. Im Herbst 2024 wurde der „Bürger:innenrat Stadtraum Centrum Bremen“ (BSCB) zunächst bei der Gestaltung von zwei öffentlichen Stadträumen in der Innenstadt eingebunden. Aufbauend auf den hier gemachten, sehr positiven Erfahrungen und getragen von der hohe Motivation der Mitglieder des Bürger:innenrats entschied das Projektbüro, dem Bürger:innenrat auch bei einem zweiten für die Bremer Innenstadt zentralen städtebaulichen Vorhaben eine Stimme zu geben.
Das zentral in der Innenstadt gelegene „Parkhaus Mitte“ soll in den kommenden Jahren abgerissen und einer neuen Nutzung zugeführt werden. Entstehen soll dabei ein Neubau, der verschiedenartige Nutzungen und Flächen mit unterschiedlichem Zuschnitt und Charakter vereint. Für den Neubau wurde durch das Projektbüro Innenstadt ein Wettbewerbsverfahren ausgelobt. Aufgabe des Bürger:innrates war es, in dem Wettbewerbsverfahren qualifizierte Bewertungen zu den eingereichten Entwürfen zu geben. Aufbauend auf die Erfahrungen der Mitglieder bei der Befassung mit öffentlichen Stadträumen in Bremen lag der Schwerpunkt seiner Arbeit auf der Bewertung der eingereichten Lösungen für die Freiraumgestaltung sowie den vorgeschlagenen öffentlichen Nutzungen des Gebäudes.
Der Wettbewerb war in zwei Phasen eingeteilt:
In der ersten Phase wurden zwölf Architekturbüros zur Teilnahme zugelassen. Der Bürger:innenrat war in dieser ersten Phase eingebunden. Sein Auftrag war es, die insgesamt zwölf Entwürfe zu sichten und zu bewerten. Die Bewertungen flossen in die Entscheidung des Preisgerichtes ein, welche sechs dieser zwölf Entwürfe in der zweiten Phase des Wettbewerbs noch berücksichtigt werden sollen.
Unter Einbezug der Ergebnisse des Bürger:innenrats wählte das Preisgericht Ende Juni sechs Entwürfe aus, die in der zweiten Phase des Wettbewerbs von den teilnehmenden Büros anhand der Hinweise des Preisgerichts weiterentwickelt wurden. Nach der sich anschließenden zweiten Sitzung des Preisgerichts wurde das Vergabeverfahrens am 29. Oktober 2024 mit der Verkündung der Siegerentwürfe abgeschlossen.
Gute fachliche Vorbereitung des Bürger:innenrats
In der ersten Sitzung des Preisgerichts führte eine ganztägige Sitzung des Bürger:innenrats im Sommer 2024 erstmals in das Wettbewerbsverfahren ein. Sie diente zur Vorbereitung der späteren Bewertung der zwölf Entwürfe. Jörn Ackermann von BPW Stadtplanung informierte die Bürger:innen über den formalen Wettbewerbsprozess und welche Rolle der Bürger:innenrat dabei einnehmen wird. BPW Stadtplanung war für die Umsetzung des Architekturwettbewerbs beauftragt worden.
Um den Teilnehmenden den zu beplanenden Bereich näher zu bringen, fand anschließend eine gemeinsame Begehung des heutigen Gebäudes (Parkhaus Mitte) und vor allem des öffentlichen Raums in unmittelbarer Umgebung statt. Carl Zillich, Geschäftsführer vom Projektbüro Innenstadt Bremen führte die Begehung durch, begleitet von Carolin Korf, Leiterin der Abteilung Planung und Neubau der kommunalen Bremer Baugesellschaft mbH (Brebau) und Helena Harttung, Leiterin des Ortsamtes Mitte / Östliche Vorstadt. Gemeinsam informierten sie über relevante Aspekte des öffentlichen Raums um das Parkhaus Mitte.
Um die Entwürfe des Bürger:innenrats angemessen bewerten und Stärken und Schwächen identifizieren zu können, war es notwendig, sich an den formalen Bewertungskriterien der Auslobung zu orientieren. Dazu mussten diese für die Bürger:innen verständlich und damit anwendbar gemacht werden. Fachliche Kriterien wie „Adressbildung“, „Identifikationskraft“ oder „Zonierung der Außenräume“ sind keine geläufigen Konzepte für Laien. Daher wurden in der vorbereitenden Sitzung die insgesamt sieben Kriterien gemeinsam mit Hilfe von Expert:innen von BPW Stadtplanung und des Projektbüros diskutiert und „übersetzt“. Auf dieser Grundlage konnten die Bürger:innen erarbeiten, wie sie die spezifischen Kriterien interpretierten und was ihnen besonders wichtig ist. Dabei konnten sie auf das Wissen der vorausgehenden Beteiligung zur Gestaltung von zwei öffentlichen Stadträumen in der Innenstadt zurückgreifen.
Bürgerbeteiligung im Rahmen von Wettbewerbsverfahren erfordern hohe Sorgfalt und Verbindlichkeit
Wettbewerbsverfahren unterliegen strikten und juristisch relevanten Maßgaben zur Vertraulichkeit. Da es sich um einen Prozess handelt, in dem alle teilnehmenden Büros gleiche Chancen auf Auswahl und Gewinn haben müssen, dürfen bis zur finalen Entscheidung des Preisgerichts keine Informationen nach außen dringen. Es galt daher, sowohl die Entwürfe, als auch die Beratungen im Bürger:innenrat streng geheim zu halten, so dass keine Wettbewerbsvorteile oder -nachteile entstehen konnten. Dazu mussten alle Teilnehmenden (Bürger:innen, Moderation, Expert:innen) im Vorfeld der Sitzung eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterschrieben, die zur Geheimhaltung verpflichtete.
Im Mittelpunkt der zweiten, ganztägigen Sitzung vom 22. Juni 2024 stand die Diskussion und Bewertung der zwölf eingereichten Entwürfe. Als wichtige Grundlage diente dabei das Handout zu den Bewertungskriterien, welches in der ersten Sitzung gemeinsam entwickelt worden war. Das Handout enthielt Beispiele, Erläuterungen und Leitfragen, die dabei helfen sollten, die Entwürfe zu bewerten. Nach einer Einführung zu allen Entwürfen wurden die einzelnen Entwürfe in Kleingruppen intensiv diskutiert und jeweils Stärken und Schwächen identifiziert sowie eine Gesamtbewertung jedes Entwurfes vorgenommen. Die Ergebnisse wurden im Plenum zusammengeführt und von allen Teilnehmenden gemeinsam diskutiert und unterstützt. ifok führte die Ergebnisse in einem finalen Bericht zusammen, welcher noch vor der Jurysitzung an den Ausrichter des Wettbewerbs übergeben wurde. So konnten die Ergebnisse des Bürger:innenrats in die Beratungen der Jury einfließen. Bei jedem Wettbewerbsbeitrag wurden der Jury neben den Ergebnissen der Vorprüfung auch die Ergebnisse des Bürger:innenrats vorgestellt.
Bei der Vorstellung des Wettbewerbsergebnisses am 29. Oktober 2024 wurden die Mitglieder des Bürger:innenrats erneut eingeladen. Nach der öffentlichen Präsentation der Siegerentwürfe kamen die zahlreich anwesenden Mitglieder des Bürger:innenrats nochmal zusammen. Sie erhielten eine Rückmeldung, wie ihre Arbeitsergebnisse in die Bewertungen der Jury und damit auch in die Weiterentwicklung der Entwürfe eingeflossen sind. Gleichzeitig konnten Sie sich selbst ein Bild davon machen, welche Wirkung ihre Arbeit hatte und sich dazu austauschen. Insgesamt waren die Mitglieder des Bürger:innenrats mit den Ergebnissen sehr zufrieden und erlebten diesen Prozess als ein sehr gelungenes Beispiel der mitgestaltenden Bürgerbeteiligung.
Erfolgsfaktoren und Herausforderungen
Kooperation: Die enge Zusammenarbeit und Verzahnung des Bürger:innenrats mit den Planungs- und Wettbewerbsprozessen stellte eine erhebliche Chance, aber auch eine Herausforderung dar. Die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure und deren Bereitschaft Neues auszuprobieren waren entscheidend für den Erfolg des Bürger:innenrats.
Besichtigung sticht Betrachtung sticht Beschreibung: Um den Bürger:innen ein möglichst gutes Bild des Beteiligungsgegenstandes zu vermitteln, sollten so viele Sinne wie möglich angesprochen und das Thema so konkret und erlebbar wie möglich gemacht werden. Wenn möglich empfiehlt sich eine physische Besichtigung, idealer Weise mit relevanten Expert:innen, Stakeholder:innen oder Betroffenen. Zudem sollte der Input möglichst grafisch, konkret und erfahrbar gemacht werden, z.B. durch Videos, Bilder, Modelle oder Erfahrungsberichte.
Fazit:
Der Bürger:innenrat Stadtraum Centrum Bremen zeigt eindrucksvoll, wie Bürgerbeteiligung und Wettbewerbsverfahren erfolgreich miteinander verknüpft werden können. Durch die aktive Einbindung der Bürger:innen in die Planungsprozesse und die Bewertung von Architektenentwürfen konnten vielfältige Perspektiven und Ideen in die Stadtentwicklung einfließen. Dies stärkt nicht nur die Akzeptanz der geplanten Maßnahmen, sondern fördert auch das Vertrauen der Bürger:innen in die politischen Entscheidungsprozesse. Die hohe Fachlichkeit eines städtebaulichen Wettbewerbs bleibt erhalten und wird durch die Perspektiven der Bürger:innen bereichert. Gleichzeitig bleibt die Anonymität des Wettbewerbsverfahrens und damit auch die Rechtssicherheit uneingeschränkt erhalten. Der Bürger:innenrat zum Wettbewerbsverfahren „Parkhaus Mitte“ in Bremen ist ein Modell, das auch in anderen Städten und Gemeinden Schule machen sollte.
Ihre Ansprechpersonen

Frank Zimmermann
Managing Consultant | Bürgerbeteiligung und Demokratieentwicklung, Mobilität, Nachhaltigkeit
Telefon | +49 6251 8263-168 |
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Huy Tran-Karcher
Senior Consultant | Deliberation, Open Government und Demokratie
Telefon | +49 30 5360 77-17 |
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